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Erinnerung an Adolphe Monod (1802-1856)

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Napoléon Roussel: Wie man nicht predigen sollte

Placidus

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Placidus ist das vierte „Opfer“ in Napoleon Roussel’s Aufzählung von schlechten Predigern. Da er der Vernunft mißtraut, bleibt dieser Prediger beim Bibelwort stehen. Seine Predigten sind lange Ketten von Bibelstellen, die nur durch Schlüsselwörter miteinander verbunden sind.

„... seine Zitate sind weder durch den Sinn, noch durch ihre Ausrichtung, sondern durch Wörter miteinander verbunden. Es handelt sich um Fäden aller Farben, Längen und Durchmesser, die miteinander verwoben sind und eine halbe Stunde lang abgerollt werden; es handelt sich gewiß um Fäden aus Seide und Gold, aber die so, wie sie hier verknüpft sind, fast all ihren Wert verlieren; eine Stelle jagt die andere, und die einzige, deren man sich erinnert, ist die jeweilig letzte.“

Roussel gibt uns ein amüsantes Beispiel einer solchen Satzkette:

„Wir werden gemeinsam, sagt Placidus, folgende Worte des Matthäusevangeliums betrachten: „Aus ÄGYPTEN habe ich meinen Sohn gerufen.“ Liebe Brüder, ÄGYPTEN ist die Welt, ist BABYLON, von der in der Offenbarung gesagt wird, daß diese Stadt geistlich gesehen Sodom und Ägypten heißt, da, wo UNSER HERR gekreuzigt worden ist; denn, wie es Paulus den Korinthern sagt, UNSER HERR wurde für unsere Übertretungen hingegeben, und er ist für unsere RECHTFERTIGUNG auferstanden; und, wie ihr wißt, daß derselbe Apostel anderswo gesagt hat: „Niemand wird GERECHT werden durch die Werke des GESETZES.“ In der Tat ist es das GESETZ, das die Kenntnis der SÜNDE vermittelt, und der Lohn der SÜNDE ist der TOD, der EWIGE TOD; denn es gibt einen EWIGEN TOD, genauso wie es ein EWIGES LEBEN gibt. Dieser Aussage nach gehen die einen zum EWIGEN LEBEN und die anderen in das ewige Feuer, das Feuer, von dem gesagt ist, daß es nie erlischt und zum WURM, der nie stirbt; der WURM, der nie stirbt, das ist die Schlange, das ist SATAN, und SATAN bedeutet Verleumder, LÜGNER; zweifellos deshalb, weil die Schlange Eva angelogen hat, als sie ihr sagte; „Ihr werdet nicht sterben, sondern ihr werdet wie Götter sein.“

Da der Prediger vom Hundertsten ins Tausendste kommt, ohne genaue Idee, wohin er gelangen will, hat der Zuhörer natürlich seine Not, ihm zu folgen. Die Rede endet nicht weil das Thema behandelt worden ist, sondern weil die Zeit um ist.

Die Worte, die Placidus verwendet, mögen biblisch sein, aber sein Stil ist es nicht, denn die biblischen Schriftsteller schöpfen ihre Worte, ihre Bilder und ihre Sprache aus dem Umfeld ihrer Zeit; sie „bedienen sich der Gegenstände, die ihre Zuhörer vor Augen haben oder in ihren Händen halten; und man darf annehmen, daß, derselben Regel zufolge, Jesus, die Propheten und die Apostel, wenn sie sich an die heutigen Franzosen oder Chinesen gewandt hätten, von Opium und Eisenbahnen gesprochen hätten.“ Deshalb ist es gar nicht in ihrem Sinne, eine heutige Predigt mit den Worten und Bildern einer anderen Zeit zu halten, denn das bedeutet, „ihren toten Buchstaben zu bewahren und ihren Geist abzutöten, die Schwierigkeit, unbekannte Bilder zu verstehen, der Schwierigkeit, das zu verstehen, was die Bilder sagen wollen, hinzuzufügen, und damit falsche Ideen zu vermitteln oder die Zuhörer abzustoßen.“

Roussel rät dazu, nicht allzu viele Bibelstellen zu zitieren, sondern die Dinge in einem guten Französisch zu sagen, auf eine verständliche und moderne Art und Weise, und von Zeit zu Zeit ein Bibelwort einzufügen, wodurch letzteres zur Geltung gebracht wird. Ein Übermaß an Bibelzitaten kann den gegenteiligen Effekt haben.

Der Autor glaubt, daß das unmethodische Vorgehen von Placidus seinen Ursprung in seiner intellektuellen Faulheit findet. Das Aneinanderreihen von vorgefertigten Sätzen erlaubt es ihm, bei denen, die diese Sprache nicht verstehen, als tief zu gelten, und den Eindruck der Frömmigkeit zu erwecken.

Placidus läuft Gefahr, seine Zuhörer zu langweilen, und, was noch viel schlimmer ist, die Menschen vom Evangelium abzuwenden. Roussel schließt mit den Worten:

„Es ist schlimm genug, daß die Weisheit Gottes dem natürlichen Menschen als Verrücktheit erscheint; es besteht wirklich kein Grund, sie auch noch in einem seltsamen Licht erscheinen zu lassen; Sie würden besser daran tun, ein wenig Arbeit dahin zu verwenden, diese Dinge in einem einfachen Stil darzulegen, und zwar in dem Stil, dessen Sie und alle anderen sich tagtäglich bedienen!“

 

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